Montag, 14. September 2020

In Angelegenheiten der Toten - Abenteuerlogbuch Oberon 5





Fünfter Abenteuer Logbucheintrag Oberons aus dem Haus der Bal Drian

Jahr 2523 Imperialer Zeitrechnung, Unbekannter Tag im Monat Vorhexen


Wieder einmal ist es zu lange her, dass müde, zittrige Finger verweilen dürfen auf vertrautem Pergament. Tinte, statt Blut und Phlegma von ihnen tropfen soll. Welch wohlige Erinnerungen sie wecken, an langweilige Abende im familiären Studienzimmer und danklose Transkribier Arbeiten im Dienste kurzlebiger Doktoren, deren vermeintliche Erkenntnisse sie für die Nachwelt in diversen Sprachen festzuhalten für nötig erachteten.

'Würde ich wohl je selbst erstaunliche Taten und Entdeckungen meinen Nachkommen hinterlassen?' fragte ich mich noch in jenen Tagen voll jugendlichem Fernweh und Tatendrang. 

Dank solcher Gesinnung bin ich nun hier, der Antwort keinen Schritt näher, wenn überhaupt noch weiter davon entfernt als je zuvor.

Die letzten Tage sind ein einziges Unwetter, ein Labyrinth in meiner Erinnerung, von einem Schmerz zur nächsten Erniedrigung, zu weiterem Rückschlag führend. Und doch weilen nicht nur drohende kalte Knochenhände an meinem Hals, auch zarte Finger streifen die Lippen meiner Erinnerung, beide Stille gebietend, meditierende Reflexion. Und doch will ich mein Spiegelbild meiden, nicht länger das eines unschuldigen, naiven, noch nicht von Mordes Schuld belasteten jungen Elfensäuglings aus Marienburg, vermutlich eher die entsetzliche blasse Fratze eines gebrochenen Geistes wie einst vor Christians Turmfenster befürchte ich zu sehen. Falls das denn überhaupt real war, sonst scheint die Erscheinung keiner gesehen zu haben.

In diesem Meer aus Wahnsinn und Elend sind mir die wenigen Freunde und neu gefundenen Sippenbrüber wie Bojen dem Schiffbrüchigen, Fatalismus wie weitere Löcher in meiner sinkenden Nussschale, genug davon.

...


Seit unserer bedauerlichen Bruchlandung im Söldnerdienst abenteuerlustiger Zwergen-"Forscher" (obgleich sich diese selbst sicher anders bezeichneten) mit ihrer erstaunlichen - einst - die Lüfte befahrenden Konstruktion im Altdorfer Unterstegbezirk sind mir wie stets im Umgang mit den kurzlebigen Rassen faszinierende Beobachtungen vergönnt gewesen. Gleichwohl aber auch, in exzessiverem Maße als je zuvor, ward mir das Leid und die Entbehrung, welches die untersten Klassen der Imperialen Zivilisation befällt vorgeführt und meine Entourage diesem ausgesetzt worden.

Hungersnot, die "Brüte"-Seuche, Bandenrivalitäten, Gewalt an jeder Ecke, Kälte, dauerhaft in Flammen stehende Stadtviertel, offener Drogenhandel und unvorhersehbares Verschwinden ehrlicher Bürger –der zu Lehrzwecken vielversprechenden Apothekerin, wie auch anderweitig, zugegeben mitverschuldeter Weise – sowie eine selbstredende Palette aus Dung- und Verwesungsgeruch beim Betreten jedes weiteren baufälligen Hauses scheinen an der Tagesordnung zu stehen. Und all das in einer von Stadtwachen auferlegten Quarantäne. 

Meine Gemeinschaft besteht indes nur noch aus dem Tileanischen Söldner El Vino de Fuero und dem durch Zufall wieder zu uns gestoßenen alten Bekannten Karl Thalwirth dem Halbling. 

Den Morrs Laienpriester Vergil mit dem ich bis dahin auf Tempeldienstreise unterwegs war und den Ogerjüngling Khevin mussten wir in der spektakulären Evakuierung einer Untergrundexpedition unfreiwillig in Bad Hohne zurücklassen, ich bat lediglich einen während dem Flug nach Altdorf abgehenden Zwerg diese über unseren Verbleib zu unterrichten. Ich hoffe sie innerhalb ihrer Lebenszeit wieder zu sehen. Es sei denn morgige Ereignisse erweisen die beiden am Ende doch als langlebigere Geschöpfe als mich. 

Hier festsitzend da unser Luftschiff-Führer und Ansteller Harrad, ein mit seinem Bart bereits den Boden kehrender Zwerg aus einer Festung namens Izor, auf Besorgungsmission verschollen gilt, versuchten wir also, uns mit der lokalen Bevölkerung gut zu stellen. 

Cadai! Ich brauche nicht erwähnen wie spektakulär wir dabei mit jedem Versuch scheitern und uns neue Feinde machen. 

Schon die erste Erkundungstour führte zu einem unbeabsichtigen Todschlag - ein versuchtes Glattbügeln dieser Misere zu einem regelrechten Abschlachten hiesiger Taugenichtse - die Konsequenz daraus ein tödliches Handgemenge auf offener Straße. 

Ein zugegeben recht erfolgreiches Hahenkampf Spektakel des sich außerhalb von Kampfsituationen als geistig nicht als kooperationsfähig herausstellenden Halblings wurde sogleich überschattet von meinem weiteren bedauerlichen Notwehr-Erschlagens eines Bandenunterkommandanten, der mir bei Glatteis in einer Abwehrbewegung in das Metzgerbeil rutschte. 

Nach Wochen der gewaltätigen Konflikte im kriegsgebeutelten Middenland, wilden Tieren und sich für solche haltende nackte Zwerge in der Wildnis, Mutanten infizierten Ruinen, Dorffeierlichkeiten und Untergrundgewölben, die uns sowohl leibliche wie reichlich mentale Gesundheit abverlangten, fällt es uns wahrlich schwer sich einer vermeintlich zivilisiertere Umgebung zu akklimatisieren. 

Zumal es garade so gelingt die Bilder sprechender Brustgeschwür-Auswüchse, Kannibalenwurst-Schlingwettbewerbe, giftsprühende Rattenmenschen und einen selbstzufriedenen im eigenen Urinfass kochenden Fettsack aus dem Gedächtnis zu verbannen.

Und in all dem Chaos erwähnte ich noch gar nicht die Bedrohung durch widernatürlich magisch beseelte Leichen und Essensreste aus den Tunneln unter unserer Unterkunft im Kellertheater die währenddessen den uns angrenzen abgeriegelten Stadtbezirk verheert haben und wie ein Schatten - oder besser gesagt ein atemraubender Nebel über all unseren Handlungen liegt und jederzeit über uns hereinzubrechen droht. 

Obwohl ich mich mangels internistischer und alchemischer Kompetenz nicht an die Behandlung der Brüte wage, meine heilenden Fähigkeiten und wundchirurgischen Kenntnisse ließen sich bisher beinahe täglich schleifen am Wetzstein pausenlos in Mitleidenschaft gezogener Gliedmaßen unserer kleinen Gruppe, wie auch des ein oder anderen zögerlichen Ansässigen Bürgers. Vino nimmt meine Bandagen und Nähte stets dankend an, hat er es sich doch scheinbar zur persönlichen Aufgabe gemacht von jedem Turm, Dachvorsprung und rasanten Gefährt zu springen. Der Halbling allerdings setzt mehr Vertrauen in die Quacksalber der Stadtwache und passiert mich neuerdings als Folge mit einem Arm weniger, stattdessen einer Art Flügelprothese und einem beängstigend schielenden Federvieh auf dem Kopf, wie immer übler Laune und ohne ein freundliches Wort. 

Jene erwähnte größere Bedrohung aus den Krypten der Unterstadt erforderte auch bereits unseren kompetenten diplomatischen Einsatz im feindlichen Bandengebiet, der, schwer in wenig Worte zu fassen, kurzgesagt unweigerlich in einer Hurendreiergespann-Saufmarathon-Bärenstreicheln-Gammelfischerbrechen-Drogenpulver-Einlauf angefeuerten Hetzjagt resultierte, nur unterbrochen von neuerlichem Inanspruchnehmen oraler Freudenmädchen Fertigkeiten und dem Vervollständigen unserer Oberarm Tätowierungen zum Festhalten der ganzen recht würdevollen Erfahrung, sowie schlussendlichem Aufgegriffen werden von besagter lange angefeindeter Drecksack-Bande endete.


Folter war zu erwarten, wenn nicht sogar verdient, konnte mir aber keine erhofften Informationen erkaufen. Stattdessen ermöglichte mir reiner Zufall und der zur Abwechslung günstige Gewalteinsatz meiner beiden Mitstreiter ein gewünschtes Dokument und somit die Gunst meiner skeptischen Avelorn-Elfischen Gastgeber der Sindelfinger Exklave zu erkaufen, endlich ein zweifelloser Erfolg also. Denn kann ich beabsichtigte wie auch notgedrungenes Todschlagen als Erfolge betrachten? Ein keimendes Leben zu löschen kann nur den verheerenden Blick der Cytharai auf mich ziehen, und keinesfalls will ich ihre Puppe sein in blindem Gemätzel. Beherrschung und Reflexion werden nötiger als je zuvor.

Zerschundenen Leibes, entstellter Visage und gebrochnen Armes konnte die nächsten Tage unsere Position in der Kellertheater Orginaisation, mit weiteren Missionen und dem Besorgen essentieller Verbündeter im Endkampf gegen die Untote Bedrohung weiter ausgebaut werden.

Bei dieser handelt es sich nebenbei bemerkt, meiner Beobachtung nach um ein Illegales Hahnenkampf Wett- und Drogenschmuggel Syndikat mitsamt eigener Selbstjustiz Wachtruppe und einem dank uns den Klauen des Todes entrissenen Patrons mit einem Herzen aus Gold. 

Jener Herr Christian gewährt sowohl uns, einer divers pigmentierten exotischen Belegschaft wie auch Flüchtlingen aus dem Westbezirk Unterkunft und setzt sich wie eine Art Bürgermeister diplomatisch geschickt für das nahezu mittellose Volk des "Gulli", einem Teilbereich des Östlichen Unterstegs ein, Fungiert als Mediator zahlreicher Subgruppierungen wie Schwarzmarkt, Söldner- bzw Bautruppe, der Bürgerschaft, den Elfen so weit als möglich sowie weiteren ominösen Banden und Verbrecher-Gemeinschaften, was ihm zusätzlich eine nicht zu verkennende Position und Notorität verleit.

Seine geistige Stabilität bleibt - seit seiner Rettung aus der erwähnten verfluchten Totenstadt im Untergrund durch den Halbling geführt - sporadisch bis anzuzweifeln, übersteigt in jedem Fall aber meine heilkundigen Kompetenzen und muss zu unser aller wohl weiter geheim gehalten werden. 

Bislang stehen wir in seiner Gunst und er bewahrt uns vor der Verfolgung durch die verfeindeten Banden, gewährt uns sogar den Umständen entsprechend komfortable Unterkunft, Bewaffnung und Entlohnung.

In uns hat er widerwillige Vollstrecker seiner brachialeren Interessen gefunden. Unser immer tieferes Verstricktwerden in diese kriminelle Unterwelt bereitet mir zusehens Unbehagen. Nichts desto trotz sitzen wir hier fest und die Untote Armee aus dem Untergrund ist eine zusammenschweißende Instanz höchster Lebensbedrohlichkeit.

Bei weiteren Besorgungen verloren wir, ebenfalls festzuhalten, einen tapferen Kanben im Kampf gegen Mutanten, einen arbeitsamen Gießer Freund in einem Hinterhalt auf der Straße, und schmerzlich zwar nicht wie das Scheiden jungen, uns wohlgesonnen Lebens, doch nach wie vor betrüblich stimmender weise die Gunst Nessimons, Elfischen Stallmeisters Sindelfingens, ward ich doch selbst mit der fragwürdigen, wenn nicht sogar kontraproduktiven Hilfe Karls, bislang nicht in der Lage seinen verschwundenen Adler oder dessen Entführer ausfindig zu machen. 

Erst gestern, nach einer zuvor stundenlangen Erniedrigung durch Zwergische Schuldeneintreiber schlussendlich in der Rekrutierung eines weiteren Kellertheater Verbündeten - Micky - jedoch erfolgreichen Unterfangens, geriet ich, gebadet, ausgeruht und neuerlich von bezahlten fleischlichen Gelüsten abgelenkt, sogleich wieder in einen Hinterhalt hungriger Wegelagerer in den brennenden Kohlebecken Straßen und kam kaum mit dem Leben davon. 

So saß ich nun da, verhöhnt, verfolgt, gefoltert, gescheitert und mit einem neuerlichen Pfeil im gerade so verheilten Arm, auf einer bereitgestellten Hängematte in den von den Baumterassen bewohnenden Elfen als Behausung abgelehnten Altbauten eines Sindelfinger Arkadenhoftraktes, als sich sanfte Schritte näherten.

Eleumeira, die erste der Sindelfinger Späher der ich begegnete, die mich vermutlich tagelang beim Scheitern beobachteten konnte und die stets die Stimmen ihrer Angehörigen hört die mich, sowohl aufgrund Zusammenarbeitens und Verbrüderns wie auch Mordens diverser Menschen verurteilen, leistete mir einen flüchteden Augenblick Gesellschaft. Ihr Anblick allein beflügelnd und befreiend, in einer Welt aus Asche, Schnee und Blut.
















So anregend ihre Worte in meinen Ohren und ihr elfischen Heiltrank getränkter Finger auf meiner Zunge mich auch stimmten, abdriften ließen in süße Träume eines fernen Heimatlandes das selbst ich nie gesehen, wie schon vor Tagen bewusstloß, dem Ende nahe unter der Faust des Foltermeisters, so schnell war der Augenblick auch vorüber, und ich wieder allein mit Wunden und Sorgen.

Ich mache mir keine Hoffnungen auf eine Zukunft hier. Ob bald tot, unbrauchbar verstümmelt oder im besten Fall wieder auf der Reise, unterwegs zu neuen Abenteuern, in jedem Fall wäre ich hier allen bisherigen Erlebnissen nach wenig willkommen. Lileath, was vermag mir ein unerreichbarer Traum zu geben? Ich genieße lediglich die Momente die mir hier gegeben werden, unter meinesgleichen. Die warme Gegenwart beispiellos anmutiger Maiden meines Volkes inspirierte schon vor Millennia unmessbar größere und mächtigere als mich. Wer weiß, vielleicht, einst, in unerreichbar scheinenden, fernen, friedlicheren Tagen, hier ein gelegentlicher, und wenn auch nur von einzelnen gern gesehener Gast zu sein… ein schöner Gedanke.

Zurück im hier und jetzt liegt eine kalte Nacht lediglich zwischen mir und einem waghalsigen Coup an der Stadtmauer zum von Untoten überrannten West-Untersteg, und unser aller vermutlichem Ende. Entweder in den verschneiten Straßen oder dem finsteren Untergrund, in jedem Fall aber auf ewig umarmt von den rachsüchtigen Knochen der Toten. 

Wir werden sehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen