Samstag, 3. Dezember 2022

Die Rote Kutsche zur Reikerbahn



Bericht Oberons aus dem Haus der Bal Drian über die Geschehnisse auf der Reikerbahn.

Und so finden sich meine kurzlebigen und -sichtigen Gefährten und ich schließlich wieder, in der Reikerbahn, der prominentesten Straße des Unterstegs, inmitten der schwer bewachten "Quarantäne Zone" am großen Inspetionstag. Sämtliche dieser Begriffe mögen mehr als vage Umschreibungen, Codes oder Decknamen interpretiert werden, da lange kursierende Brüte Seuche gegen die es Sinn gemacht hätte eine Art Quarantäne zu verlautbaren längst vergessen schien, besagter "Tag" vielmehr eine halbe Woche und so genannte Inspektion ebenfalls mehr als Politischer Kongress beziehungsweise Theater Festspiel Extravaganza zu verstehen ist.

Die Reikerbahn, vor dem Effekt des Schleiers
Noch bevor wir jedoch auch nur das geringste davon wussten, wohin uns dieser ominöse Rote Brief noch führen sollte, fanden wir uns Tags zuvor in Christians Büro wieder. 

Mich nicht weiter für seine offenkundig anbahnenden Verschwörungsgeschäfte interessierend, nachdem mir seinerseits der aus reiner Höflichkeit und Respekt nicht schon längst absorbierte Inhalt des roten Schreibens, nach Aushändigung vorenthalten wurde, beschloss ich eigenen Interessen nachzugehen. 


Meinen Elfischen Gastgebern sollte ich noch Bericht über die Geschehnisse in der Zwergenvault abliefern, die erbeuteten Bücher gehörten übersetzt und die Ausgesorbenen Pflanzen in der Glaskugel gehörten weiter vermehrt... Praktisch bereits im gehen vernahm ich nur noch, dass Christian sich mir Karl als "Leibwächter" zu einer Art Geheimtreffen in der Reikerbahn - einer der letzten Bastionen die sich unter dem prominenten Autor und Intendanten Detlef Sierck im fast gänzlich überrannten westlichen Untersteg gegen die Untote Horde zu verbarrikardieren wusste wie ich gehört hatte - aufmachen wollte und sie beide sich dafür möglichst stilbewusst auszustaffieren wollten. Als ich mich noch kurz mit Micky und Takeo unterhielt kam auch schon Syfryd freudestrahlend die Treppe herunter, zum Dank für seine Anteilnahme im Infiltrieren von Fillingers Villa wurde ihm der scheinbare zweite Rote Einladungsbrief in dem Kuvert überlassen um seinen Vorgesetzten, den Hansevertreter Dolminger ebenfalls dort hineinzuschleusen. Es war mir einerlei, meine Arbeit hierzu war getan.

Vielmehr freute ich mich bereits, vergangene Abenteur und Missetaten in aller Ruhe zu Papier bringen und somit geistig hinter mir lassen zu können, mich in angeregter Unterhaltung mit mir gleich gesinnten, wachen Geistern auszutauschen, verlorenes Körpergewicht bei köstlichen Speisen wieder zurückzuerlangen und einige Tage meine Wunden in Sindelfingen gänzlich auskurieren lassen zu können.

Doch derlei war zu viel verlang. 

Stattdessen fand ich mich schon wenige Stunden später in dem unter einem Dungsammler Karrens wieder, ironischer Weise natürlich wieder zu genau dem vermaledeiten Reikerbahn Treffen unterwegs.

Wenig Gelegenheit blieb mir mich auch nur mit der lieblichen Eleumeira auszutauschen, oder gar das Heiligtum der Liadrielle von dem ich gehört hatte aufsuchen zu dürfen, denn sogleich nach abliefern meines Reiseberichts bat mich der Edle Mercian sogleich auf neue Mission.

Scheinbar hätte dieser - Loec findet seine Späße mit mir wohl unverzichtbar - ebenfalls unbedingt eine Rote Einladung beötigt, denn dringende Nachforschungen drängten ihn vor seiner anstehenden Abreise den jungen Prinzen Oswald auf seine geistige Gesinnung und körperliche Korruptionsanzeichen zu untersuchen. Eben jener sollte sich neben zahlreichen anderen Würdenträgern demnächst in der Reikerbahn einfinden, um vor dem klangvollen Hintergrund des großen, von Sierck inszenierten religiösen Festspiel Spektakels über die Geschicke des Reiklandes zu konferieren. Nun sollte ich dies übernehmen und mir nebenbei auch noch unaffällig Zugang zu einem der streng bewachtesten Staatsunterfangen dieser Menschlichen Domäne verschaffen. 

Genau genommen ist mein Auftrag nun mit einer Schraubdose aus besungenem Holz geschnitzt, die einen magischen Mukus vor Kälte schützt, der bei Haut- oder körpernahem Kleidungskontakt mit dem Jungen, vielleicht zukünftigen Imperator, anscheinend meinem Herren Aufschluss über die Verfassung des Sohns des Menschenherrschers geben soll, und die um jeden Preis von Magiern ferngehallten werden muss. 

Wahnwitzige Worte wie ich sie hier vor mir niedergeschrieben lese, doch nach Erfüllung der Aufgabe steht mir uneingeschränkter Zugang zu den bislang noch versperrten Arealen Sindelfingens in Aussicht, da schert es mich bei Ladrielle, Herrin der unsichtbaren Wege, wenig, wie sehr mir in jungen Jahren noch jeder Umgang mit Magie Kopfzerbrechen und Unverständnis bereitet. Solange ich meinen Teil erfüllte...

So also ausgestattet mit einem neuen Satz Kleidung, zwei Flaschen Tiranoc Rot und wiedereinmal bar meiner Waffen ward ich also ausgesannt, versteckt im Unrattransport mir Zugang zu dem Spektakel zu verschaffen.

So drehten der Dungsammler auf dem Wagen und ich ein paar Runden um die äußere Barrikade, unpassierbar ohne Einladungsschreiben wie es schien, und konnten nur warten. Eine Gruppe von der Sonne braungebrannter Menschen konnte ich beobachten und selbst diese, so weit her angereist mussten bis auf ihren geladenen Herren und einen Begleiter wieder keht machen. Gute Aussichten.

Die Masken der
Goldenen Hunde
Sichere Schritte auf dem vereisten Matsch der Westlichen Unterstegs Straße die zur Reikerbahn führte, umweht von deinem flatternden roten Wollmantel machten mich aus meinem Versteck jedoch aufmerksam. Der bewaffnete Fremde war scheinbar gut Freund mit einigen Wachen im Außenbereich, schländerte mit einer Unbekümmertheit wie sie nur Veteranen zahlloser Schlachten oder Adelige vorweisen konnten und war obendrein auch noch ohne Begleitung unterwegs! Vielleicht konnte ich ihn überzeugen mich als seine Begleitung mit hinein zu nehmen, Leibwächter brauchte er seinem Auftritt nach keinen, doch vielleicht einen Schreiber - selbst Adelige überlassen derlei Arbeit oft Angestellten - einen Leibarzt, Übersetzer oder meinetwegen auch elfischen Status Symbol Diener. 

Mit dem Karren außer sicht der Wachen rollte ich mich aus dem Wagenversteck und wollte sogleich schnellen Schrittes zu dem Mann aufschließen, da stand ohne Vorwarnung plötzlich schon ein Wachposten vor mir. Er konnte nur von dem Balkon über mir aus auf die Straße heruntergesprungen sein. Die Sicherheitsmaßnahmen hier waren wahrlich gnadenlos.

Verständlicherweiße war mein auf den Plan treten nicht gerade ein unbedenkliches, und so setzten mir Wachmann Norbert und zwei seiner Kollegen lange genug zu, dass ich den Fremden mit dem Roten Mantel aus den Augen verlor. Großartig. 

Ich manövrierte mich mehr schlecht als recht durch ihr Verhör auf offener Straße, immerhin, der Salesianer war mir tatsächlich auf den Versen und obwohl laut Mickys Nachvorschungen und Christians Einfluss im Untersteg nicht gern gesehen ein gut genuger Grund wie jeder andere mich unbemerkt fortzubewegen zu wollen. Das ich mich dadurch als stolzer Besitzer eines eben nicht unerheblichen Kopfgeldes bekannte machte mich ebenso weniger verdächtig. Glücklicherweise hatte ich immerhin noch das Siegel des Sekretär Oswalds dabei, welche meine Gedungenen Gefährten und ich nach dem Kampf gegen den Cursus erhielten und konnte mich nach einigem ungeschickten Verhandeln und dank dem extrem fachkundigen scheinbaren Elfenwein Sommelier unter den Wachenposten der mir meine Flaschen als 2500 Imp. Kal. fertig gereiften Tiranoc Wein identifizierte und auch gleich um eine davon erleichtere freikaufen um mich zumindest außerhalb der Barrikaden frei bewegen zu können. Auf welch wirren Wegen Allvater Asuryan mich doch zu meinem Schicksal trägt.

Nicht einmal die Identität des Roten Mantelträgers konnte ich erfahren, so glaubwürdig ich dem Wachen auch machte ein vermeintlich von ihm fallen gelassenes Schreiben aushändigen zu wollen, sei es drum, vielleicht werde ich ihn noch treffen.

Ich fing gerade an mit dem Gedanken zu spielen mich bei Nacht schleichend über die Dachwege in die Reikerbahn zu schleusen und das Risiko durch die dort oben erkennbaren schweren Scharfschützen in offizieller Uniform abzuwägen, da rollte mir schon ein erneuter, die Rettung bringender, roter Dungwagen entgegen.

Pompöser als die erste Hofmätresse des Couronner Viscount d'Alembençon mit mehrgeschossigen Rüschenkragen ausstaffiert und wie der Gockel auf dem sprichwörtlichen Misthaufen fuhr mir Karl, flankiert von Christian und Gicki Ricki, nicht minder jedem geschmackvoll minimalistischen Kleidungsstil spottend entgegen, und nahmen mich, dankbarer Weise mit, zumindest bist zu den Goldenen Hunden die die Barrikade und den Einlass zur Reikerbahn kontrollierten.

Zu Fuß gesellten sich auch Syfryd und sein stolzer Vorgesetzter zu uns, der sich noch kurz Christian vorstellte und wie es schien unbedingt darauf aus war sich bei einem seiner anstehenden Glücksspiel treffen bis auf die Unterwäsche ausziehen zu lassen um ein paar fruchtbare Geschäftskontakte zu aquirieren.

Nicht einmal den hochachtungsvoll für seine Bürgerinitiative gerühmten ersten Mann des Unterstegs, Christian Kufner schien es am Tor nur leider gestattet mehr als eine Begleitperson mitzunehmen. Sehr dankbar von diesen Goldenen Hunden in ihren dauergrinsenden Goldenen Masken und mysteriösen alchemischen Symbolen auf den Roben, wie ich fand, durften sie doch seit kurzem praktisch direkt in Christians Wohnzimmer im Kellertheater ihr Quartier aufschlagen um die Lage dort im Auge zu behalten. Djego De Deza war der Name ihres Anführers dort erfuhr ich, nicht das sich diese Information noch als nützlich erweisen könnte, sahen sie doch alle relativ gleich aus. 

Der ehrenwerte Herr Kufner, Bürgermeister nicht nur über die Imperialen Bürger des Unterstegs sondern auch, zumindest auf dem Papier, Schutzherr der dortigen Elven Exklave Sindelfingens war noch nicht gänzlich von der Brüte genesen, und somit von erwähnten Elfen mit einem Leibarzt ausgestattet worden der seine Seite nicht verlassen durfte - war das einizige was mir spontan einfiel, und von Christians schnellem rhetorischen Verständnis bestätigt wurde.

Glücklicherweise hatte ich mir während der Ballonfahrt die klassichen Abhandlungen in dem Begleitbuch der Heilpflanzen Terrariums Kugel eingeprägt, und so bestand ich die prüfenden Fragen des Goldenen Hundes zu meiner medizinischen Akkreditierung: Knappenkraut bei einer simultanen Erkrankung von Silberhödien und Ripper nur mit Eingedenk des Risikos einer Sehnerv Beschädigung verabreichen zu können. Wenn doch nur alle Herrausforderungen im Umgang mit Menschen auf Fachwissen anstatt Charisma basieren würden...


Der nun folgene sich uns eröffnende Einduck war für nicht Gegenwärtige schwer vorstellbar. Wie seiner Zeit, als sich die Kurfürstentümer unter Magnus sammelten und die Elfen beschlossen den Menschen Magie zu lehren - von denen ich hoffentlich noch den ein oder andern persönlich kennen lerne, oder vielleicht bereits habe, und denen einst meine Eltern zurück in die alten Kolonien folgten - wimmelte es nur so von Ritter, Ingenieuren, Magiern und Akademikern, Dienern, Wachen, Bürokraten, Gildenvertretern, Adeligen und Politikern, mehr als selbst der zahlengewandte Konrad auf einen Blick zu zählen vermocht hätte. Wo der und Vino sich nur dieser Tage herumtrieben, irgendwie vermisste ich die beiden simplen Zeitgenossen und ihre jugendliche Naivität. Die an jedem Haus wehenden Banner, Insignien und Adelsfmilien Fahnen verwiesen auf noch weitaus mehr Machthaber und Vertreter, in den durch die Wachen unter Quarantäne vorwand von ihren Bewohnern zeitweilig gesäuberte, für den Untersteg ansehnlichen Gebäuden entlang der Reikerbahn oder bereits im Theater, an dessen Ende untergebracht. 

Manfred zurück in der Hauptstadt
Und jenes oft erwähne Warga Breughel Gedenk Theater selbst war nicht minder bemerkenswert. Schon aus der Entfernung aufragend erkennbar, von Dienern, Handwerkern und Laufburschen umschwärmt wie ein Bienenstock, auf massiven Grundmauern über Generationen von einer vermutlichen Wehrfeste umgewandelt, immer weiter aufgetürmt zu einem prunkvollen Räpresentationsbau, samt steilen Stufen, Säulen getragener Vorhalle und faszinierendem Kuppeldach - welches ich früher als mir lieb sein sollte noch von innen besichtigen sollte - musste es der Zentrale Ort des Geschehens der nächsten Tage sein. Immer weiter fuhren wir darauf zu, Fetzen aller möglichen Unterhaltungen drangen an mein wie meist einsames spitzes Ohr, ich hörte von einer "Seriösesten Vereinigung" einem "Freitag aus Licht", "Bachs letztem Opfer", einem "Obeservatorium im alten Wohnbau" hörte, dass an diesem Tag ein Diener vom ersten Stock Dachweg gefallen und verunglückt sei - hörte die Namen zahlreicher Tavernen mit illustren Namen vom "Goldenen Kreuz" das Syfryd aufsuchen wollte, "Der Bürgschaft" in dem Estalier zum Massagedienst eingeteilt wurden, "Dem Jedermann" gleich neben dem Theater, "Die beiden Schützen" in dem ein Gewürzhändler residiert "Erendira" - wo ich sogar zwischen einigen Adeligen Damen eine Elfin erspäht zu haben glaube, bis hin zu schon absonderlichen Wortkonstruktionen wie "Das Eichbaumopfer" und "Das Krokodil".

Im passieren meinte ich sogar Blicke mit einem alten Freund aus dem Norden gekeuzt zu haben - Manfred, dem pensionierte Hexenjäger aus Heideldorf. Er war also noch am Leben und sogar nüchtern! Zwischen gefährlichen Veteranen und Hexenjäger kollegen wollte ich ihn nicht gleich ansprechen, das Gebot der Stunde war unauffällig zu bleiben. Ich musste später unbedingt mit ihm über die Gerichtsverhandlungen sowie Vino und mein resultierendes Lösegeld sprechen.


Vor der Treppe zum Theater verabschiedeten Christian und Dolminger als eigentliche Repräsentanten sich, um den bereits laufenden Theaterspielen beiwohnen zu können, dem wir - angeblich - auch an einem der Folgetage beiwohnen durften und wir drei verbleibenden unwichtigen Schergen machten uns darauf in der Schlange zu unserer einstweiligen Aufgabenzuteilung anzustehen. Stets beobachtet von den Scharfschützen auf den Dachwegen - hier breiter und stabilier gebaut als in unserem gewohnten östlichen Unterstg - sowie den grinsenden Masken der Goldenen Hunde, wurde unsere Aufmerksamkeit jäh von Oberst Wenzel Abgewandt. Er war ein uns bereits bekannter Wachkommandanten der Innerstädtischen Mauer auf der wir auch kürlich wieder mit dem Ballon landeten, hier nun in Prunkrüstung und mit Aufgabenzuteilung über Akten und Bücher gebeugt. Mann, Weib, Halbling, Hahn und Hund allesamt gleichermaßen rissen jedoch die von Empörung, Entsetzen, Verwirrung oder Irritierung verzerrten Gesichter in Richtung Theater herum.

Auf dessen Treppen standen bereits fünf Magier, an ihren langen bunten Roben, exzentrischen Gesichtsbehaarungen, Tätowierungen und Schmuck, sowie ominös leuchtenden Stäben und Gesten erkennbar, von den Statuengleichen Grinsefratzen der Hunde umringt und wirkten gemeinsam ein großes, arkanes Ritual.


Die Reikerbahn, gehüllt in den Schleier der Farblosigkeit




Gleich einem Strudel sog die Konklave nicht nur die nervöse Atemluft fast aller Anwesenden, sondern auch die Farbe in ihren Gesichtern hinfort. Wie bereits bisher im Angesicht mächtiger Manipulation der Winde der Magie stellten stich meine Haut auf wie die einer gerupften Gans, was Mensch und Zwerg vermutlich durch ihre reichhaltige Körperbehaarung ähnlich wie eine erschrockene Katze oder dem pelzigen Hanuman zu einem bedrohlicheren Aussehen verhalf, mich im anhaltenden Schnee lediglich leichte schauderte. An Syfryds, Karls und Gickis ebenfalls eher ausdrucksloser Reaktion bemerkte ich nicht allein zu sein: Wir hatten einfach bisher zu viel Realitäts verzerrende, Gravitations verweigernde, Monströse und in den Wahnsinn treibende Phänomene erlebt um hievon gleich verängstigt zu sein wie die uns umgebenden Bürger, Diener und Diplomaten. 

Ausser den blassen Orangen Feuerschein blieb nur Grau zurück als sie ihre Anrufung beendeten, und bis auf weiteres schien die gesammte Reikerbahn nun in Schatten getränkt von der Aussenwelt abgeschnitten zu sein. Bemerkenswert.





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