Dienstag, 28. November 2023

Se muore, muore - Himmelspfeiler 3


Nano di fuoco

Elvino hatte gerade zu einem waghalsigen Sprung angesetzt, um seine in die Bredouille gekommenen Gefährten zu unterstützen. Das eilig ausgehobene Schneeloch schütze zwar vor dem eiskalten Wind und der Witterung, doch war es auch sehr beengt und schwer gegen die ausgehungerten Wölfe zu verteidigen. Der Tileaner hatte aufgrund des Platzmangels entschieden, sich auf einem der umgeknickten Baumstämme zu postieren. Ursprünglich war es sein Ansinnen gewesen, einen oder mehrere der Biester mit seinem Bogen zu erlegen oder zumindest in die Flucht zu schlagen. Jedoch hatte es ihm eines der Tiere gleichgetan und wollte ihn in den Allerwertesten beißen, wäre da nicht sein geübter  Schwertarm gewesen, der ihn vor Schlimmerem bewahrte.

Ein letzter prüfender Blick über das Gefechtsfeld als ihm ein Feuerball den Atem raubte und den Schnee in seinen Haaren in Wasser verwandelte. Der Geruch seiner versengten Gesichtsbehaarung wurde schnell übertüncht vom Gestank der verkokelten Wölfe. Harad hatte sich wohl eine ingenieurtechnische Anleihe bei Alaric Wirrkopf genommen und die ursprünglich im Ballon verbaute Konstruktion für den Kampf adaptiert.

“Nano di fuoco”, tileanisch für Feuerzwerg", kam es Chicco über die Lippen als die verbliebenen Biester in die Flucht geschlagen wurden. Das Aroma ihrer vollends verbrannten Artgenossen dürfte ihnen etwas den Appetit verdorben haben. Ein letztes Tier konnte mit vereinten Kräften erlegt werden. Wohl selbst ein wenig überrascht von der Feuersbrunst welche er entfacht hatte, konnte der sonst so reservierte Zwerg, nicht mit seinen Emotionen hinter dem Bart halten. 

Harad "zieht den Joka" und entlässt einen Feuerschwall aus dem einstigen Ballon Mechanismus

“Es håt funktioniert! Des fettreiche Gemisch hot sich entzunden! Der Dichtungskanal konnte es komprimieren!”

Ob seiner Aufregung ignorierte er das unbedeutende Detail, dass er nicht nur die Wölfe, sondern beinahe auch Elvino und seine Kameraden in einem gewaltigen flammenden Inferno gegrillt hätte. Darüber hinaus hatte diese feuerspeiende Apparatur wohl auch einen Schaden davon getragen. Vino für sich beschloss jedenfalls, viel Abstand zum Zwerg zu halten, sollte dieser nur in Betracht ziehen, diese Apparatur nochmals zu verwenden.

Einen der bis auf einen Pfeiltreffer unversehrten Wolfskadaver konnte Elvino aufbrechen. Vielleicht war es die Erfahrung im Lager der Barbaren gewesen, kombiniert mit seinen bisher erfolglosen Versuchen, doch irgendwie lag ihm sein Dolch erstaunlich gut in der Hand. Geschickt häutete er das ausgehungerte Tier und verwendete das nach außen gekehrte Fell als Suppentopf. Alles, was nahrhaft und verwertbar war, wurde in barbarischer Manier mit im Feuer glühend aufgeheizten Steinen gekocht. Zischend verbreitete sich ein Duft der entfernt an die verkohlten Überreste der weniger glücklichen Tiere erinnerte. Garniert wurde es mit frischen Nadelbaumspitzen und  letzten Resten von eingelegtem Gemüse, das schon bessere Zeiten erlebt hatte. Doch das Ergebnis war laut dem tileanischen Jungkoch äußerst wohlschmeckend. Der Rest der Truppe würde die Speise vermutlich eher als essbar bezeichnen, wobei in der Kälte jede warme Mahlzeit eine Wohltat war.

Die Aufregung des so plötzlich entschiedenen Scharzmützels legte sich langsam und doch half diese Anspannung, welche man nur in einem ernstlichen Gefecht verspürt, dabei dass der Tileaner sich für die erste Schicht der Nachtwache munter hielt. Trotz aller Kampferfahrung gewöhnte man sich nie vollends an den Nervenkitzel. Vermutlich sorgte genau dies dafür, dass man mit der nötigen Konzentration an die Dinge heranging. Tat man das nicht, dachte der Söldner, der konzentriert in den sternenklaren und eiskalten Nachthimmel hinein lauschte, dann bekam man dies zumeist zu spüren. Seine vernarbte Wange ziepte. Gerade bei dieser eisigen Kälte war sie oft taub, wie ein Fremdkörper, der mit seinem früher so ansehnlichen Gesicht verwachsen war.

Plötzlich zerriss ein bekanntes Geräusch die stets veränderliche und doch empfundene Monotonie des pfeifenden Windes. 

"Tööötööötööööööööööööööööööööö!"

... erklang eines der Hörner der Snotlinge. Mittlerweile hatte er herausgefunden, wie die Biester genannt wurden, welche Kilian auf dem Gewissen hatten. Aufgeschreckt durch die kindsgroßen Grünhäute, starrte er gebannt in die Schwärze der Nacht. Solange bis er das Gefühl hatte, seine Augäpfel würden ihm festfrieren. War das eine Silhouette am Bergkamm über Ihnen gewesen? Vielleicht konnte einer der Elfen etwas in der Dunkelheit erkennen, der Tileaner vermochte keine direkte Bedrohung auszumachen. 

Nachdem Vino seine Ablöse geweckt hatte und die wachen Kameraden über die Vorkommnisse informiert hatte, versuchte er, bei der Kälte und dem Wind etwas Schlaf zu finden und kauerte sich zwischen seine zitternden Kollegen. Eine wenig erholsame Nacht dauerte viel zu lange. Erschöpfter als noch am Vortag erwachte der Tileaner noch bevor die Sonne hinter den eisigen Felsformationen aufgegangen war.

Im fahlen Licht der Morgendämmerung erkannte man weitaus mehr als noch in der Nacht, rasch hatte der Suchtrupp eine wenn auch schon verschneite Spur gefunden und versuchte dieser zu folgen. Dies gestaltete sich aufgrund der Witterungsverhältnisse und wegen der immer wieder durchbrechenden Felsen schwierig. Auch wollte der Verursacher der Abdrücke im Schnee wohl nicht ohne Weiteres gefunden werden. Nach einigen kräftezehrenden Stunden des Marsches durch das Gebirge fand sich eine noch tiefere Spur im Schnee. Diese erinnerte an einen Wagen oder Schlitten, der gezogen worden war.  Die Suchenden beschlossen der Fährte zu folgen, obwohl unklar blieb, wie alt sie war.

Das Terrain wurde steiler und das Fortkommen somit noch anstrengender, als man plötzlich ein fahles Rosa im Schnee erkennen konnte. Blut, schon durchgefroren und im Firn versickert, hinterließ eine blasse Spur. Vielleicht waren es die Brouws gewesen auf der Flucht? Einerseits war dies beileibe kein gutes Zeichen, andererseits waren Sie besser als alle anderen auf diese lebensfeindliche Umgebung eingestellt. Es könnte genauso gut eine blutende Grünhaut gewesen sein, versucht sich Elvino zu beruhigen.

Den Spuren ist leicht zu folgen. Barbaren? Orks?

Übermüdet stieg die Truppe den Spuren folgend durch den Gebirgszug und dabei mussten sie immer wieder Halt machen, um die Nachzügler aufschließen zu lassen. Die obere gefrorene Schneeschicht brach oft ein und man versank tief im Schnee, was ein Vorankommen beinahe unmöglich machte.

Vino wurde immer aufgekratzter. Einerseits die Unwissenheit wer oder was die Blutspur verursacht hatte, und andererseits waren Sie für jeden Angreifer im Schnee weithin gut sichtbar und auch nicht wirklich in der Lage einer Attacke auszuweichen. Hoffentlich würden Sie die Brouws bald einholen. Hinter ihm wurde gerade wieder zusammen gewartet, als sich zur linken des Suchtrupps das Gefälle noch einmal verschärfte. Eine felsige, fast senkrechte Wand überragte das Schneefeld, welches sie gerade versuchten zu durchqueren. Vino vernahm plötzlich ein ersticktes Röcheln. Sein Herzschlag ging so stark, er konnte das Rauschen seines Blutes im Ohr hören. Der Blick hantelte sich an der Blutspur entlang und fand den Ursprung des Geräusches. Während der Trupp hinter ihm noch versuchte, die Ursache der Laute auszumachen und sich zu verschanzen, hatte der Jungspund aus Pavona das Ende und die Herkunft der Blutspur gefunden. Ein Blutfleck im Schnee kündigte von einem garstigen Schauspiel. Jemand war dort oben, den Elementen ausgeliefert, festgezurrt worden. Erst als er näher kam, konnte er erkennen, dass es einer der Brouws war. Berengar, sein Freund, der sich Vino über die letzten Tage und Wochen angenommen hatte, war hier drapiert worden wie ein Wimpel, der im Wind hängt. Hastig und mit klammen Fingern fieselt Vino sein Seil hervor. Er warf es über eine Felsnase in etwa in der Höhe der Beine des Malträtierten. Die Hände und Füße fanden nur schwer Halt im gefrorenen Gestein und je näher er kam, desto mehr wurde offenkundig, wie grausam Berengar zugerichtet worden war. Tränen des Zornes und der Erschöpfung stiegen ihm in die Augen, denn er schaffte es zwar, hinauf zu gelangen, doch waren die blutunterlaufenen Arme Berengars zu weit oben. Immer wieder rutschte Vino beinahe ab und bei jedem Versuch wurde klarer, dass wer oder was auch immer ihn hier so hinterlassen hatte, dies aus purer perfider Grausamkeit tat. Man vernahm kein Wort mehr aus Berengars einst so stolzer Brust, nur noch ein im eigenen Blut ersaufendes Gurgeln vermochte er hervorzubringen. Seine unbeschreiblichen Qualen kamen zu einem Ende, unklar ob er selbst ihnen ein Ende setzte und zu Morr schritt, oder ob er ob des Martyriums schlichtweg den Halt auf dem kleinen Felsvorsprung verlor, auf welchem seine geschundenen Beine Halt suchten. Vino fand etwas Tröstliches in dem Gedanken, dass er bis zuletzt um sein Überleben gekämpft hatte. Er und sein ganzes Volk. Der Kampf war es, was ihr Leben bestimmte, diesen hatte er zwar verloren, doch aufgegeben hatte er ihn nicht.

Berengar Lundgren, Ski-Experte und Krieger des Stammes der Alrasista,
nach seiner Zusammenkunft mit dem "Skugga".

Mit einem dumpfen Geräusch landete der Körper unter ihm im Schnee. Die Tränen gefroren in seinen Augenwinkeln. Vino schniefte, als er den Leichnam Berengars hinabgleiten ließ. So vorsichtig er es vermochte, hatte er ihn befreit und abgeseilt. Dabei hatte sich erst das ganze Ausmaß der Grausamkeit offenbart. Seine früheren gefallenen Kameraden hatte zumindest ein schneller und barmherziger Tod ereilt, doch Berengar war massakriert worden. Was auch immer es gewesen war, hatte ihm die Zunge herausgeschnitten. Die Augenlider waren abgetrennt, die Ohren abgeschnitten und wohl auch das Innere des Ohrs bewusst verletzt worden. Jede Verletzung so vorsichtig zugefügt, dass sie für sich nicht tödlich war. Doch in Summe war er seiner Sinne beraubt worden und aufgehängt, um elendiglich zu erfrieren oder von wilden Tieren gefressen zu werden. All dies, während er taub, blind und stumm mit einer Schlinge um den Hals auf sein unvermeidliches Ende harrte. Beinahe hätte Vino ihn noch erreicht. Fraglich jedoch, ob diese Verletzungen in dieser Umgebung überlebbar gewesen wären oder ob ein Krieger wie Berengar so zugerichtet weiter Leben hätte wollen. Eilig bestatteten Sie den geschundenen Körper, wenig wurde dabei gesprochen, doch jedem in der Gruppe wurde auf grausame Art und Weise klar, warum die letzten Menschen derartige Furcht empfinden vor dem unbekannten Grauen, welches zu solch einem Gemetzel fähig war.

Se muore, muore.


Leicht glitzerten die gefrierenden Schweißperlen auf der zerschundenen Visage des Tileanersöldners und seiner weniger entstellten Kameraden. Berengar hatten Sie gerade eben im Permafrost der Himmelspfeiler vergraben. Tiefer und tiefer sank die Sonne am Himmel. Nur wenige Stunden würden Ihnen im Tageslicht verbleiben. Während die Gruppe die nächsten Schritte, sprichwörtlich und tatsächlich, beratschlagte, reminiszierte Elvino die letzten Tage und Wochen, die er zumeist mit dem soeben bestatteten Barbaren verbracht hatte.

Die Gefahren der Himmelspfeiler waren allgegenwärtig und noch weitaus greifbarer als das ohnehin schon beschwerliche Söldner- oder Barbarenleben. Eines seiner oft wiedergegebenen Credos war gewesen:

“Dör han sä dör han” oder auf tileanisch “Se muore, muore”

Auf Reikspiel bedeutete dies: “Stirbt er, so stirbt er”. Ein tröstender Leitspruch, denn er verdeutlichte die unumgängliche Vergänglichkeit des Lebens hier in dieser feindlichen Umgebung. So vorsichtig man auch sein mochte - eine Lawine, ein Steinschlag oder eine Bande marodierende Grünhäute konnte immer für ein vorzeitiges Ende sorgen. Zumindest war Berengar nicht ohne Gegenwehr aus dem Leben gegangen. Vino mochte sich gut vorstellen, wie der erfahrene Krieger unbeeindruckt von der drohenden Lebensgefahr seine Widersacher einen nach dem anderen über die Klinge springen ließ, ehe er überwältigt worden war.

Seine Gedankengänge wurden durch eine Spur im Schnee unterbrochen, die seine Aufmerksamkeit erregte. Diese entsprang recht knapp unter dem Grat, wobei sich dieser mittlerweile zu einem schmalen Bergrücken verbreitert hatte. Zuvor war es ein Durcheinander aus tiefen und seichten Spuren gewesen, die den Firn im Hochgebirge durchbrochen hatten. Doch hier war ganz unmerklich eine einzelne, von dem Durcheinander hin- oder wegführende, Fährte sichtbar. Bedeckt vom unablässigen Schneegestöber in diesen Höhenlagen und äußerst unscheinbar, fast als wäre ein Tier dafür verantwortlich gewesen - oder jemand, der seine Verfolger genau dies glauben lassen wollte. Um nicht noch mehr Zeit mit dem Auf- und Abstieg ins sogenannte Alrasistatal zu verlieren, beschlossen Sie, dieser höher gelegenen Spur zu folgen.

Oberon war noch gut bei Kräften und wagte einmal einen Blick über den Bergkamm hinüber in das nächstgelegene Tal. Dieses war weniger steil und durchzogen von lockeren Wäldern, in welchen wohl wirklich nur die stärksten Bäume überdauern zu vermochten. Ein bereits berüchtigtes Tröten von Snotlings drang an seine elfischen Ohren. Seine schwarzen, in der Nacht gut sehenden Augen waren gerade dabei gewesen, einen Hügel, der in der Talsohle gute zwanzig Schritt empor ragte, zu inspizieren. Danebst lag laut seiner geflüsterten Beschreibung eine ebene Fläche, vermutlich ein zugefrorener Teich. Ob er jemals auftaute?

Flüsternd wurde noch kontempliert, wie man die offenbar mit einem waghalsigen Snotling-Wagenrennen beschäftigten Grünhäute umgehen konnte. Abermals stach Vino eine Spur ins Auge, welche über den Bergrücken führte. Allerdings war diese nun begleitet von einer Wagenspur, welche ins kollektive Gedächtnis der Gruppe eingebrannt geblieben war. Die Gefährte waren zwar aller unterschiedlicher, primitiver Bauart, doch eines dieser Ungetüme hatte Kilian vor nicht einmal einem Mond in Stücke gerissen. Hatten die kleingewachsenen Grünhäute einen der Brouws gefangen genommen? Vorsichtig und in Kleingruppen voneinander abgesetzt, näherte sich die Expedition dem Spektakel. Bei all dem Getröte, Geschrei und genereller Geringschätzung der Gegner war es nicht schwierig in der einsetzenden Dämmerung sich, von Baum zu Baum huschend, näher an den Hügel zu bewegen. Plötzlich gefror dem tileanischen Trupp bestehend aus Chico und Vino das Blut in den Adern. Nicht etwa die eisigen Temperaturen, sondern ein bestialischer Gestank hatte ihnen die Furcht in die Glieder getrieben. Nahe Berengars letzter Ruhestätte hatten waren einige Orks in Stücke geschlagen worden. Trotz des Windes und der Kälte hatten die recht frischen Kadaver schlimmer gestunken als ein geschlechtsreifer Ziegenbock den man mit Schweinedung eingeschmiert hat. Vino japste kurz nach Luft. Seine Speicheldrüsen bildeten übermäßig Spucke um seine Zähne vor der Magensäure zu schützen, welche unzweifelhaft in wenigen Augenblicken gemeinsam mit Erbrochenem Wolfsfleisch im Schnee landen würde. Er hielt die Luft an und wich etwas zurück. Fast trieb es einem die Tränen in die Augen. Mit wenigen, in Tilea so übermäßig verwendeten, Gesten kommunizierend beschlossen die beiden Südländer die am Baum lehnende Quelle des Gestanks auszuschalten. Die anderen Expeditionsteilnehmer hatten sich ebenfalls allerdings etwas abseits in dem Wäldchen vorgewagt.

Vorsichtig und immer noch flach atmend, näherte sich das tileanische Duo der offenbar schlafenden Grünhautwache an. Die weißen Knöchel umgriffen die jeweiligen Mordwerkzeuge mit einer gehörigen Portion Anspannung, zumindest für Vino war es das erste Mal, dass er diesen gewaltigen Grünhäuten im Kampf gegenüberstand. Sie mussten ihn sofort erledigen. Denn wenn Sie entdeckt würden, wäre eine Flucht die einzige Option.

Mühsam glitten die scharfen Klingen durch den muskulösen Hals der Bestie. Vermutlich hatten Sie welche der bei Grünhäuten allgegenwärtigen Pilze gegessen, dachte der Tileaner noch bei sich, als er bemerkte, dass keinerlei Schmerzreaktion, kein Röcheln, nichts der eröffneten Kehle entwich. Fast wollte er innehalten in seinem Schnitt, so tief konnte doch niemand schlafen. Da bemerkte er den Grund für die schwer gehende Schneide.

Der Leichnam war tief gefroren. Stunden mussten vergangen sein. Bei genauerer Inspektion stellte sich heraus, dass ein Dorn, so dick wie ein Oberschenkel, den Torso des Orks durchbohrt und diesen, man konnte es nicht anders nennen, am Baum fest genagelt hatte . Hastig wich er einige Schritte zurück und blickte umher. Auch die anderen bereits erspähten Wachen waren nicht etwa betrunken eingeschlafen, sondern im Kreis um das immer noch in voller Ekstase befindliche Rennen, drapiert worden.

Friedvoll lehnt der Ork an dem Baum im kleinen Wäldchen

Was waren hier für Wesen am Werk? Erst wurde Berengar so zugerichtet und nun diese Orks. Kreaturen, deren einziger Lebenszweck der Kampf war, wurden so mühelos und in so großer Anzahl derart zugerichtet. Bei Myrmidia, hatte Vino schon mit Dingen gefochten, die für zwei Söldnerleben reichen würden. Vom Höhlenwurm, über den Lindwurm, bis hin zu Chaoskultisten und anderen feuerspuckenden Magiern. Doch das hier, das trieb ihm die Angst in die Knochen.

Alle seine bisherigen Gegner konnte er sehen, wahrnehmen, im Zweifelsfall erschlagen oder davonlaufen. Doch dieses Wesen hatte es geschafft, eine Bande von abgehärteten Orkwachen festzunageln wie einen Steckbrief am schwarzen Brett im Gulli.

Chico und Vino blickten sich recht entgeistert an, und bevor Sie noch allen anderen versprengten Expeditionsteilnehmern klar machen konnten, was genau vorgefallen war stellten Sie fest, was, beziehungsweise wer wohl der Grund für das Snotlingrennen war.

Auf dem Hügel erspähten die Beiden eine bekannte Defensivpose. Dagwin war wohl zur allgemeinen Belustigung dort oben platziert worden und um ihn herum rasten mehr als drei Dutzend Snotlingwagen im Kreis. Die Erde war von Schneematsch und Blut aufgeweicht, es flogen Pilze und kleine Grünhäute garniert mit abgebrochenen Bestandteilen der kruden Gefährte durch die Luft. Das alles würde bei einem tileanischen Straßenrennen für besorgte Aufschreie sorgen, doch hier war es so als würden die verbliebenen Teilnehmer nur noch mehr in Ekstase versetzt je mehr Chaos und Tumult um sie herum passierten. Einer der Wägen konnte sich etwas absetzen, offenbar war er recht fragil, aber dafür um einiges schneller als seine Kontrahenten. Als er genügend Geschwindigkeit aufgenommen hatte, scherte er ein in Richtung des Hügels, auf dem Dagwin nur auf den nächsten Angreifer wartete. Beinahe kippte das Wägelchen seitlich über ob der engen Kurve, doch das Momentum konnte erstaunlich gut gehalten werden. Mit einem ordentlichen Karacho preschte das Gefährt dem Barbaren in den Rücken, doch geschwind und mit einer Leichtigkeit eines geübten Kriegers schlug er den Wagen und manche der diabolisch kichernden Lenker in zwei Teile. Holzstücke regneten in den schmutzigen Schnee hinab wie zerbrochene Spaghettini in einen Kochtopf.

Die Werkbank der Grünhäute im Wald zur Herstellung der Kurbelwägen inmitten des Wäldchens

Es blieb wenig Zeit, früher oder später würde einer der Wagen ihn erwischen und wie das ausgehen konnte, hatte Vino noch in schmerzlicher Erinnerung. Mit gefrorenem Bart “schlich” Harrad herbei, sofern man seine behäbigen Schritte im Schnee so bezeichnen konnte. Unweit der nun wieder zusammengerückten Truppe waren mehrere Einzelteile der Snotlingwagen verstreut. Offenbar hatte es nicht nur am Hügel das eine oder andere Gefährt erwischt. Eines war an einem Baum zerschellt, doch das Heck schien noch verwendbar. Bei weiteren Teilen schienen die “Räder” bzw. der Antriebsstrang noch brauchbar. Laut Harrad alles primitive Bauteile, welche jeder Bärtling besser zusammenbauen konnte. Er schraubte die an Entenfüße erinnernden Reifen fest und hatte in recht kurzer Zeit aus drei größeren Einzelteilen eine Art Wagen wieder zusammengezimmert. Man konnte jetzt nicht einmal sagen, dass er viel schlechter oder besser war als die anderen Konstrukte. Es schien fahr- und noch wichtiger lenkbar und war sogar groß genug, dass der leichte Oberon und der stämmige Vino darauf Platz fanden und noch ein Eck für Dagwin bleiben würde. Es war sogar so, dass man die Passagiere von außen nicht wirklich erkennen konnte, sodass die anderen Snotlings keinen Verdacht schöpfen würden. Der waghalsige Plan war ebenso einfach wie gefährlich. Geschwindigkeit aufnehmen, sich unter die rasende Meute mischen, und dann einen angetäuschten Angriff auf Dagwin vornehmen und ihn einsammeln. Dann die kurze Abfahrt des Hügels nutzen um erneut hinab zu preschen und heil wieder im Wald zu verschwinden.

So weit, so selbstmörderisch.

In einer seltenen Anwandlung von fehlendem Egoismus überließ der tileanische Söldner seinem elfischen Kompagnon Oberon das Steuer. Vino war es wichtiger, dass das Gefährt auf die richtige Geschwindigkeit gebracht wurde. Erstaunlich gut gelang es, die Höllenmaschine zu beschleunigen, doch die im Kreis rasenden Snotlings waren trotzdem noch etwas schneller und näherten sich bedrohlich an. Oberon war mit der Lenkung mehr als ausgelastet, während Vino mit brüchigen Hebeln und Pedalen versuchte, den Kontrahenten davonzukommen und den Wagen anzutreiben, denn diese machten keinerlei Anstalten auszuweichen.

Einer der Karren war fast Rad an Rad mit ihnen und war drauf und dran entweder Vino und Oberon zu rammen oder deren Vehikel zu kapern. Gedankenschnell fasste der südländische Jüngling das Kochfell in welchem er den köstlichen Wolfseintopf bereitet hatte, und warf es direkt auf den Snotlingwagen, bevor der Elf geschickt die nächste Kurve in Angriff nahm. Im Blindflug raste der Verfolger weiter geradeaus, krachte, unter Tröten und Gelächter, in ein Wrack, welches im Weg war und zerbarst in tausend Teile. Die Gunst der Stunde musste genutzt werden und geschickt steuerten Oberon und Vino immer näher an den Hügel heran. Ehe sie es schafften, die Rennbahn zu verlassen und den Hügel hinaufzufahren. Dagwin hatte sich schon zur Abwehr bereit gemacht, als Vino mit abrupten Bewegungen an den Antriebshebeln den Wagen stoppte. In Ermangelung einer für alle verständlichen Sprache wurde klar gemacht, dass ein gemeinsamer Kampf nicht das Ziel dieser Operation war, sondern dass es sich um eine Rettungsmission handelte.

Van Dagwin führt einen Tanz auf, nachdem seine Fallen die nächste Grünhaut beseitigen

Im Augenwinkel war plötzlich zu sehen, dass Oberon von einer Schlingfalle nach oben geschleudert worden war. Der Jäger Dagwin war nicht unvorbereitet in diesen Kampf gegangen, doch zum Glück war die Falle auf das Gewicht eines Snotlings ausgelegt und nicht auf den doch etwas schwereren Elfen, sodass dieser nur etwa zwei Schritt hoch in die Luft geschleudert war und mit einem dumpfen Geräusch wieder am Hügel aufschlug. Zähneknirschend hielt er sich die zugezogene Blessur. Dieser Aufprall würde sicherlich ein paar blaue Flecken hinterlassen. 

Protestierend bestieg der Barbar den Wagen und so abrupt die Retter erschienen waren, so prompt versuchte das Trio nun den Hügel wieder zu verlassen. Recht schnell konnten Sie, auch aufgrund der Neigung, Geschwindigkeit aufnehmen, doch die Wägen hatten es wohl auf den Kontrahenten abgesehen, der, ihrem Vernehmen nach, es nicht auf den Hügel geschafft hatte und die Anfahrt abgebrochen hatte.

Dem Ausweichen und Antreiben zum Trotz wurde der Wagen gerammt. Glücklicherweise war der Wagen viel schwerer und Dank der zwergischen Adaptionen recht stabil. Denn die Kontrahenten zerplatzten förmlich, während bei den Dreien “nur” die Lenkung feststeckte. Scheinbar hatte der Aufprall eine der Achsen beschädigt. Gefangen in einem leichten Rechtsdrall versuchten sie erneut Geschwindigkeit aufzunehmen, während Oberon noch versuchte, mit einem Holzstück, das er wie ein Gondoliere nach unten drückte, die Richtung zur Außenseite der Rennbahn zu korrigieren. Was er dabei übersehen hatte, war Vino. Der durch den Aufprall vom Wagen geschleudert worden war. Dieser blickte verdattert dem Elfen und Barbar hinterher, als er sich schon umdrehen musste, denn die Snotlings rasten ohne Rücksicht auf Verluste auf ihn zu. Er begann im Schneematsch loszulaufen und versuchte nicht den kürzesten Weg von der Strecke zu nehmen, denn einfach die Fahrbahn zu queren wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit geendet, dass Vino, so wie Kilian, von einem Wagen zerfetzt worden wäre.

Wie ein Reiter, der einem trabendem Pferd nachläuft, rannte der Tileaner so schnell er es vermochte, mit den vorbeifahrenden Wägen mit. Wie ein estalianischer Torero, wich er einem der Gefährte aus, der ihn nur um Haaresbreite verfehlte. Freudig gackernd kam das nächste Mordvehikel am auf ihn zu. Auch Vino schien der Geschwindigkeitsrausch irgendwie zu behagen, denn er hatte trotz der offensichtlichen Lebensgefahr einen etwas wahnsinnig aussehenden Gesichtsausdruck, konzentriert allemal, doch nicht ganz unerquickt über die Rasanz welche alle Teilnehmer und auch ihn beseelte. In Ermangelung einer Ausweichmöglichkeit, es waren drei Snotlingwägen Rad an Rad die auf ihn zukamen. Er musste mehr oder minder gezwungenermaßen mit einem Satz auf einen der Snotlingwagen aufspringen.

Es war ein weitaus niedrigeres Gefährt als das, welches Oberon und Vino zuvor zweckentfremdet hatten, doch es hielt dem neuen Besatzungsmitglied stand. Wohl auch, weil dieses, gleich einmal zwei drei Snotlings beim Landen vom Wagen entfernte, und eine dritte der Grünhäute in Kleinkindgröße schlichtweg packte und auf einen der anderen Wagen schleuderte, sodass sich der Wagen etwas aus der Umklammerung durch die zwei anderen Kontrahenten lösen konnte. Der neutrale Beobachter, worunter sicher mittlerweile auch die anderen Expeditionsteilnehmer waren, würde nun vermuten, dass die Snotlings ablehnend auf ihr neuen Kameraden reagierten, doch im Gegenteil – das wirsche Entfernen von drei der insgesamt 10 Snotlings hatte ihnen imponiert – darüber hinaus hatte Elvino wie erwähnt einen ziemlich wahnwitzigen Gesichtsausdruck. So gut er es vermochte, imitierte der Tileaner den oft in den Himmelspfeilern zu hörenden Trötlaut der Snotlings. Hatte das Geräusch bisher Unheil angekündigt, war es jetzt mehr ein Schlachtruf, der ankündigen sollte, dass ein neuer Kapitän das Steuer übernommen hatte. Doch irgendwie war es ein recht armseliges, krächzendes

“Trötötöööööööchhz!”

das der Kehle des Tileaners entwich. Die Höhenluft hatte seine Stimmbänder wohl etwas angegriffen und so gab es zwar keinen Protest, doch er war mehr Passagier als der Anführer der Grünhäute. Erneut versuchte er sich wieder am Antriebsstrang nützlich zu machen, denn es dauerte nicht lange und die Konkurrenz schloss, auch aufgrund des neuen schwereren Mitfahrers, zu Vinos Wagen auf. Nachdem die Grünhäute ihm ohnehin gleichgültig waren, packte er sich kurzerhand einen weiteren Snotling und schoss ihn mit voller Kraft in Richtung der Verfolger. Doch Ranald brachte ihm, oder eigentlich vielmehr der Grünhaut, kein Glück. Der Tileaner hatte zu wenig vorgehalten, immerhin bewegte er sich selbst und die anderen auch stetig voran, und so landete das kreischende Projektiv unsanft im Schneematsch, wo es recht prompt überrollt wurde. Den Wagen komplett alleine zu steuern war, soviel hatte der Jüngling schon verstanden, nicht wirklich möglich, also musste er irgendwie näher an den Rand der Strecke gelangen, das möglichst ohne weitere Zusammenstöße, beim nächsten Mal würde sicher nicht nur die Lenkung stecken bleiben.

Die Snotlinge blasen in ihre Tröten um sich gegenseitig weiter anzufeuern

Doch es blieb gar nicht wahnsinnig viel Zeit um einen Plan auszuhecken, denn der Oberon und Dagwin hatten den Verlust des Tileaners bemerkt, und mit geöffneten Mündern staunend seine waghalsige Kaperfahrt beobachtet. Vermutlich wollten Sie eine Barrikade in Form des nunmehr nicht benötigten Wagens auf die Strecke rollen hinter der sich Vino verstecken konnte, doch in Wahrheit hatten sich die Begebenheiten schon derart verändert, dass sich die Söldner- und Snotlingseifenkiste direkt auf Kollisionskurs mit dem Hindernis befand. Es wurden auch gar keine Anstalten gemacht auszuweichen, sondern vielmehr mit einem freudigem Kreischen darauf zugehalten. Krachend zerbarst das Vehikel an der Barrikade. Vino wurde in hohem Bogen in den Schneematsch geschleudert, konnte sich jedoch beinahe unverletzt aufrappeln. Holzsplitter und Dreck ausspuckend, huschte er die letzten Meter von der Strecke hinunter und verschanzte sich neben seinen Kollegen hinter den Bäumen.

Ein kurzes klärendes Gespräch zwischen Dagwin und Val Kilmer berichtete wohl vom Schicksal Berengars, so viel konnte man heraushören. Eilig wurde das Bahö hinter ihnen ausgenutzt und der nun verstärkte Trupp machte sich in der herannahenden Abenddämmerung auf, um genug Abstand zu diesem Ort zu gewinnen. Die Grünhäute waren zwar auch ein Grund zur Besorgnis, doch in Wahrheit war allen hier klar, dass jenes Wesen, das die Orks aufgespießt hatte, weitaus gefährlicher sein musste.

Schweigend bewegte sich die Expeditionsgruppe am Bergrücken in westlicher Richtung. Immer schmaler wurde das Tal rechts unter ihnen und in weiterer Ferne vielleicht ein Marsch von ein bis zwei Stunden ging es in eine Höhle oder Kaverne über die zumindest teilweise von Felsverbindungen überdacht war über. Man stelle sich zum Gebet locker ineinander verschränkte Finger vor. Zum Betenden hin geöffnet, doch die Abstände zwischen den felsigen Verbindungen wurden immer enger, ehe sie schließlich in eine fast durchgehende Decke übergingen. Die ersten Brücken waren gut vier bis fünf Schritt auseinander gelegen und hatten selbst eine Breite von ein bis zwei  Schritt. Zu allem Überdruß waren die Felsen natürlich mit Eis und Schnee überzogen. Es wäre auf dem Boden schon ein schwieriges Unterfangen gewesen, aber gepaart mit der Aussicht auf einen sicheren Tod im Falle eines Abrutschens half die zusätzliche Anspannung sicherlich nicht bei einem Überqueren der Brücke. 

Immer häufiger und dichter werden die natürlichen Felsbrücken über dem Tal der Alrasista

“Nur nicht hinuntersehen”,

dachte Vino bei sich, als er bemerken musste, dass er sich auch mit seinem Seil nicht wirklich absichern konnte. Der Übergang war an dieser Stelle noch ein paar hundert Schritt lang. Am Anfang war er noch von ausreichender Breite, doch je näher man zur Mitte hin gelangte, desto schmaler und von den Elementen gezeichneter waren die Felsformationen. Würden die von Eis zusammen gehaltenen Gesteinskonglomerate das zusätzliche Gewicht tragen können? Glücklicherweise hatten nicht alle Expeditionsteilnehmer gleichzeitig denselben Übergang gewählt. So konnte Nessimon davor warnen, dass riesige Eiszapfen bedrohlich in Schwingung geraten waren, durch den steten Schritt der Überquerenden. Auch beim Elfen vibrierte das ewige Eis, das in Zapfenform herab hing, bedrohlich. Sicherlich würde eine Gewichtsentlastung, wenn man die Zapfen abschlug oder schoss, der Stabilität zuträglich sein, dachte Elvino und verschoss erfolglos einen Pfeil an den Eiszapfen vorbei. Seine klammen Finger und die schwindelerregende Höhe erlaubten ihm nicht, hier einen gezielten Schuss abzugeben. Das andere Ende der sogenannten Brücke war bereits in Sicht und glücklicherweise hatte der Tileaner das Schlimmste schon hinter sich. So dachte er zumindest, als das Heulen und Gebell das nächste Unglück am Horizont ankündigte. Ausgehungerte Wölfe rannten, als wären sie von Ulric selbst ausgesandt worden, um Ihnen hier auf dieser Engstelle den Garaus zu bereiten. Die Tiere würden früher oder später auch einen abgestürzten Kadaver finden und verspeisen und so machte sich die Truppe zur Abwehr bereit. Würden Sie das andere Ende erreichen, bevor das Rudel die Expeditionstruppe einholen konnte? Und was hatte es mit diesem Schatten auf sich, den die Barbaren immer beschrieben hatten? Vino hatte nun zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen, welche Dinge diese Wesen zu verrichten vermochten. Er umgriff den kalten Griff seines Schwertes und bereitete sich auf den Kampf vor.

“Se muore, muore”



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